Organtransplantation aus Sicht eines Klinikseelsorgers

Krankenhausseelsorger Andreas Bieneck

Seit 26 Jahren bin ich Pfarrer an der Bonner Universitätsklinik. In meinem Dienst  begegnet mir das Thema Organtransplantation immer wieder ganz konkret, als Schicksalsfrage für viele Menschen.

Für Menschen, die auf ein Organ warten, kann dieses Warten existentiell bedrohlich werden, vor allem, wenn es das Warten auf eine neue Leber ist. Aber auch Nierenkranke, die die Wartezeit durch die Dialyse überbrücken können, kommen oft an einen Punkt, an dem das Leben ohne neues Organ qualvoll wird und keine Perspektive mehr bereithält. In dieser Zeit des Wartens, zwischen Hoffnung und Verzweiflung, sind Menschen wichtig, die zuhören und begleiten, die zuverlässig immer wieder kommen, Mut zusprechen und trösten. Da spielt die Seelsorge und die Vermittlung einer Glaubens-perspektive oft eine hilfreiche Rolle. Auch für die Angehörigen ist es belastend, wenn der Zustand des Patienten sich über Monate verschlechtert und das Warten für alle unerträglich wird. Eine Person von außen, ein Seelsorger oder eine Seelsorgerin, kann in diesem Prozess wichtig sein. In der seel-sorgerlichen Begleitung ist es oft Thema, dass es bei aller Not keinen Anspruch auf ein Organ gibt und dass es ein Geschenk ist, wenn jemand seine Organe spendet. Vielen Wartenden sind diese Zusammenhänge bewusst und manche haben ein schlechtes Gewissen, weil sie es so empfinden, als ob sie auf den Tod eines anderen warten. Hier können seelsorgerliche Gespräche sehr entlastend sein.

Nach erfolgreicher Übertragung eines Organs folgt meist eine Zeit des Bangens: Nimmt mein Körper das Organ an?  Wird es Komplikationen geben? Verändert sich mein Wesen durch das neue Organ? Viele Empfänger beschäftigen sich gedanklich mit dem verstorbenen Spender, manche haben Schuldgefühle, die meisten aber ein großes Gefühl der Dankbarkeit. Ein Patient sagte zu mir: „Ich bin so voll von Dankbarkeit, ich weiß gar nicht wohin damit.“ Er litt geradezu darunter, dass er sich bei niemandem bedanken konnte. Ich schlug ihm vor, dass Gott eine gute Adresse sei, um diesen Dank auszusprechen und, im wahrsten Sinne, „loszuwerden“. Eigentlich habe ich keinen Patienten erlebt, der sein empfangenes Organ als etwas Selbstverständliches angesehen hat oder es, wie bei einer Autoreparatur, quasi als neues „Ersatzteil“ empfunden hat. Befürchtungen in diese Richtung werden in der öffentlichen Diskussion manchmal geäußert, haben aber mit dem Leben und Erleben in einer Klinik wenig zu tun.

Wer sich zu Lebzeiten mit dem Thema auseinandersetzt entlastet seine Angehörigen

Über Menschen, die auf ein Organ warten, wird zu Recht viel in der Öffentlichkeit gesprochen. Wenig hört man hingegen über die Patienten, die als Organspender in Frage kommen. Diese liegen auf Intensivstationen, sind nicht mehr ansprechbar und haben irreversible Hirnschäden, die sich im Rahmen der Hirntoddiagnostik zweifelsfrei bestätigen. Die Angehörigen dieser Patienten befinden sich in einer extrem angespannten Situation, hoffen sie doch lange auf Heilung oder zumindest Besserung. Stattdessen wird in dieser belastenden Zeit die Frage nach einer Organspende an sie herangetragen.

Leider ist dies in der Vergangenheit häufiger, vor allem durch Ärzte, in unglücklicher Weise und unter (Zeit-) Druck geschehen. So sind etliche enttäuschte, ja traumatisierte Familien von Organspendern zurückgeblieben, die in der Öffentlichkeit ihre Stimme erheben und ihre Erfahrungen weitergeben. Erfreulicherweise geschieht der Umgang mit dieser sensiblen Situation durch Ärzte und Pflegende heute sensibler und ergebnisoffen.

Die Begleitung der Angehörigen der Organspender durch die Seelsorge ist hier ebenfalls hilfreich. Als Seelsorger bei Angehörigen von Intensivpatienten bin ich oft bereits involviert und kann sie dann auch begleiten, wenn die verantwortlichen Ärzte die Frage nach einer Organspende stellen. Neben der Schwierigkeit, den Hirntod zu verstehen und zu akzeptieren (der Patient wirkt ja, als sei er lebend, aber ohne Bewusstsein) spielt dabei die Angst eine Rolle, dass man sich im Fall einer Zustimmung von seinem Angehörigen nicht richtig verabschieden kann und dieser ihnen genommen und zur Organentnahme in den OP gefahren wird. Den Angehörigen in dieser Situation ein Sterberitual und einen würdigen Abschied anbieten zu können, ist sehr entlastend und kann dazu beitragen, einen Sinn oder gar Trost in der Zustimmung zur Organspende zu erkennen.

Wartende und leidende mögliche Organempfänger einerseits und überforderte Angehörige von möglichen Organspendern andererseits, alle unter einem Klinikdach- das zeigt, wie vielschichtig und sensibel das Thema „Organtransplantation“ ist und wie sehr es sich pauschalen Aussagen entzieht. Ich kann nur jeden Menschen ermutigen, sich mit diesem Thema ganz persönlich auseinander zu setzen und dann das Gespräch mit Familienangehörigen und Freunden zu suchen. So begegnen uns eines Tages hoffentlich  seltener verzweifelt auf ein Organ wartende Patienten  und  seltener seelisch überforderte Angehörige von möglichen Organspendern.

Andreas Bieneck, evang. Klinikpfarrer  und Mitglied des Ethikkomitees am Universitätsklinikum Bonn